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Hermann Duncker zum 150. Geburtstag
Ein Beitrag von Prof. Dr. Heinz Deutschland

 

Am 24. Mai 2024 jährt sich Hermann Dunckers Geburtstag zum 150. Mal. Anlässlich dieses Ereignisses hat Mitgründer und erster Vorstandsvorsitzender des Vereins bis 2007, Prof. Dr. Heinz Deutschland, der einst Assistent Dunckers an der FDGB-Gewerkschaftshochschule und dann verantwortlich für die Einrichtung des Duncker-Archivs war, einen Fachbeitrag über Leben und Wirken Dunckers verfasst:


Hermann Duncker (1874 bis 1960) gehört zu den legendären Gestalten der deutschen Arbeiterbewegung. Er hat sich in der Zeit seines Wirkens vom Beginn bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bleibende Verdienste, vor allem in der Bildungsarbeit der Gewerkschaften und der Arbeiterparteien, erworben.

 

Eine wichtige Etappe im Leben und Wirken Hermann Dunckers war seine Tätigkeit als sozialdemokratischer Wanderlehrer. Von 1907 bis zum Sommer 1914 hat er „ganz Deutschland von Norden nach Süden, von Osten nach Westen durchzogen“ und an unzähligen Orten in Kursen von jeweils acht Abenden mehr als 18 000 Arbeiterinnen und Arbeiter in „marxistische Grundgedanken und Grunderkenntnisse“eingeführt.[1]

In den Duncker-Kursen, wie sie oft plakatiert wurden, wurde Politische Ökonomie, die Klassenlage des Proletariats und Parteigeschichte“ [gelehrt].[2] Sich an diese Jahre seiner Tätig erinnernd, berichtete Hermann Duncker in den 1950er Jahren: „Stets war ein Kreis zusammen, der sich für die Sache der Arbeiterklasse interessierte. […] Immer ging ich von den aktuellen Ereignissen oder von sozialen Bedingungen aus, die meinen Hörern bekannt waren. Auf entsprechende Literatur wies ich hin. Die Abende waren sehr rege, die Mitarbeit wundervoll, die Hörerzahl verringerte sich nie“.[3] Neben den fachlich und seminaristisch orientierten Kursen bot Hermann Duncker auch Veranstaltungen zu Literatur, Musik und Kunst an, trug er Gedichte und Lieder vor.

 

In all diesen Jahren stand Hermann Duncker gemeinsam mit seiner Frau Käte auf dem linken Flügel der sozialdemokratischen Partei und in den großen Klassenschlachten an der Seite der kämpfenden Arbeiter. Gemeinsam mit Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Clara Zetkin, Wilhelm Pieck kämpften sie für den Sieg der Novemberrevolution in Deutschland, wurden sie Mitbegründer der KPD. So stellten sie ihr Wissen, ihre Kraft und Erfahrungen in den Dienst der kommunistischen Partei. Wieder zog Hermann Duncker als Wanderlehrer und Lehrer an Parteischulen von Ort zu Ort, unterwies er Zehntausende von Kursteilnehmern – Arbeiter, Angestellte, Intellektuelle und Künstler – in marxistischer Philosophie, marxistische politischer Ökonomie und Geschichte des Sozialismus.

 

Die faschistische Terrorherrschaft unterbrach vorübergehend Hermann Dunckers Bildungsarbeit in Deutschland. Eingekerkert, befreit, aber unter polizeilicher Beobachtung stehend, verließ er Deutschland 1936. Nach der Rückkehr 1947 stellte sich Hermann Duncker, obwohl nun schon 73 Jahre alt, mit bewundernswerter Energie und Vitalität der Aufgabe, in der sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR, vor allem deutschen aber auch ausländischen Gewerkschaftern marxistisches Gedankengut vermitteln zu helfen. Dazu hatte er reichlich Gelegenheit, seit Februar 1949 als Rektor/Direktor der Bundesschule, später Gewerkschaftshochschule des FDGB, in Bernau bei Berlin.

 

Hermann Duncker hat in seinem langen Leben viele Rückschläge und Niederlagen verkraften müssen, insgesamt aber wohl ein erfülltes Leben gelebt. Er starb kurz nach seinem 86. Geburtstag, hoch geehrt am 22. Juni 1960 und wurde auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin Friedrichsfelde beigesetzt. Jedes Jahr im Januar während der Demonstration zum Friedhof Friedrichsfelde legen ehemalige Schüler und Schülerinnen rote Nelken an der Grabplatte Hermann Dunckers nieder und gedenken am 24. Mai, seinem Geburtstag, insbesondere an seinen Wirkungsstätten dieses aufrechten Sozialisten und charismatischen Lehrers.

 

Hermann Duncker war konsequenter Antimilitarist und Kriegsgegner im Sinne des Appells von Antje Vollmer, dass es heute mehr denn je gilt, „den Krieg gründlich zu verlernen“.[4] Zu wiederkehrendem Geschrei nach forcierter Rüstungsproduktion und damit verknüpften geläufigen Forderungen, das Land und die junge Generation „kriegstüchtig“ zu machen, hat er sich schon 1911 klar und deutlich geäußert. „Krieg ist Massenmord. Ohne allen romantischen Zauber werden da Millionen zur Schlachtbank geführt, werden Hunderttausende niedergemetzelt. [...] Immer sind es die Proletarier! Immer sind es die Arbeiterknochen, die die Schlachtfelder düngen! [...] Jungens, kaltes Blut! – Für euch gibt es da nichts zu holen“.[5]

 

In seiner Bildungsarbeit hat Hermann Duncker stets für das Verstehen eines Andersdenkenden geworben. Es ging ihm um den Respekt vor der Verschiedenheit, um verlässliche Sicherheit, um Kräftegleichgewicht und Zukunftsperspektive. Er war ein Mann der Multipolarität.

Er hat sich immer für eine Kooperation auf Augenhöhe, mit Respekt für die Interessen und Leistungen der anderen Seite, für freundschaftliche Beziehungen zwischen den Menschen, für friedlichen Austausch auf allen nur erdenklichen Gebieten zum gegenseitigen Vorteil engagiert. Es gibt noch genug Menschen in Deutschland, die das schon einmal ausprobiert und erfahren haben und die ihm deshalb zustimmen.

 

Hermann Duncker hatte Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut.

Gestützt auf Hermann Duncker können wir das Blendwerk des AfD-Programms analysieren und fragen, warum das Programm kein Wort zur Konzentration von Macht und Reichtum in Wirtschaft und Gesellschaft und zu deren Überwindung enthält und wir können warnen, dass das Bekenntnis zu „einer deutschen Leitkultur“ zur Abschottung von den „kulturfremden“ Menschen aus Afrika und Asien, sich nicht nur gegen Muslime, sondern generell gegen „Artfremde“ richtet, also auch gegen jeden Juden in Deutschland. Die „Abschaffung der Einheitsschule“ und die Einrichtung von Klassen für „starke“ und „schwache Schüler“ können wir mit ihm als eine Rückkehr zum Bildungsprivileg der Vergangenheit charakterisieren, das in erster Linie Kinder aus finanziell schwächeren Familien trifft und damit benachteiligt.

 

Wie in der Vergangenheit stände Hermann Duncker heute an der Seite der Benachteiligten, der prekär Beschäftigten, der für ihre Rechte und Belange kämpfenden Frauen, um das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in allen Branchen und auf allen Ebenen endlich durchsetzen zu helfen.

Die aktuellen Forderungen des Arbeitgeberpräsidenten oder des Generalsekretärs der FDP nach Einschränkungen des Streikrechts hätte Hermann Duncker entschieden zurückgewiesen, die Erfahrungen des langjährigen Streikführers der NGG, Jürgen Hinzer, unter dem Motto: Wer nicht hören will, wird bestreikt!“[6] hingegen zum Studium empfohlen.

 

Initiativen zur Ausweitung der Mitbestimmung in den Betrieben wären von Hermann Duncker begrüßt und unterstützt worden. Zum Beispiel die Anregung der Gewerkschaft Metall zur Etablierung einer Stunde sogenannter „Demokratiezeit“ für die Belegschaften. Einer Stunde während der Arbeitszeit, in der über die Zukunft der Produktion u. a. Fragen beraten werden sollte. Gleiches gilt für den Vorschlag der Gewerkschaft Verdi, unter dem Begriff der „Gemeinwohlökonomie“ die Mitbestimmung im Bereich des öffentlichen Dienstes Schritt für Schritt zu erweitern. Auf diese Weise können allmählich immer mehr Menschen in der Produktion und im Bereich der Dienstleitungen in grundsätzliche Entscheidungen zur Gestaltung ihres Lebens und ihrer Umwelt einbezogen und Voraussetzungen für den Übergang in eine Gesellschaft des Gemeinwohls und des Friedens geschaffen werden.

 

Obwohl es sich dabei offenbar um eine längere Phase gesellschaftlicher Entwicklung handelt, bei der auch zeitweilige Rückschläge nicht auszuschließen sind, hat Hermann Duncker stets daran festgehalten, dabei keinesfalls das Fernziel, die mögliche und notwendige Überwindung des ausbeuterischen, profitgetriebenen Kapitalismus und die Errichtung einer sozialistischen Produktionsweise und Gesellschaft, aus den Augen zu verlieren.

Möglichst vielen Gewerkschaftern die bedeutenden Möglichkeiten und Potenzen einer sozialistischen Produktionsweise und Gesellschaft zu erschließen, war Anliegen des über 60jährigen Wirkens von Hermann Duncker in der Arbeiterbewegung, vor allem im Rahmen der Bildungsarbeit. Es bleibt nur zu wünschen, dass sein Vermächtnis bewahrt und weitergeführt wird. Auch heute gilt der Hinweis von Friedrich Engels, den Hermann Duncker häufig und gern zitiert hat, „dass der Sozialismus, seitdem er eine Wissenschaft geworden, auch wie eine Wissenschaft betrieben, d. h. studiert werden will“.[7]

 


[1] Hermann Duncker: Marxistische Arbeiterschulung. In: Ausgewählte Schriften und Reden aus sechs Jahrzehnten, Berlin 1984, S. 216.

[2] Hermann Duncker: Marxistische Arbeiterschulung. In: Ebenda, S. 216.

[3] Hermann Duncker. Mein Weg zum Lehrer des Marxismus. In Ausgewählte Schriften und Reden a. a. O., S. 214.

[4] Antje Vollmer: Vermächtnis einer Pazifistin. Was ich noch zu sagen hätte. In: Den Krieg verlernen, VSA 2024, S. 20.

[5] Hermann Duncker: Jungens, kaltes Blut“ In: Ausgewählte Schriften, a.a.O., S. 110.

[6] Claus-Jürgen Göpfert: Wer nicht hören will, wird bestreikt!“ Jürgen Hinzers Arbeitskampfgeschichten in der Gewerkschaft NGG seit 1979, VSA: Hamburg 2023, 214 S.

[7] Friedrich Engels, Ergänzung der Vorbemerkung von 1870 zu „Der deutsche Bauernkrieg“, In: MEW, Bd. 18, S. 517.