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Baugeschichte

Der Auftraggeber

Der Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund (ADGB)

Ab Mitte der 1920er Jahre begann der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Ein bis dahin unbekannter Rationalisierungsprozess setzte ein; das Verhältnis von Arbeiter zu Angestellten und Beamten verschob sich; die Zahl der erwerbstätigen Frauen nahm zu; der Konzentrationsprozess des Kapitals wuchs; die Angriffe der Unternehmer auf den Achtstundentag und die Tarife häuften sich; eine Weltwirtschaftskrise von gewaltigem Ausmaß begann; der Druck von rechts wurde immer stärker. Diese Erscheinungen forderten von den Gewerkschaften neue Initiativen für eine wirksame Vertretung der Arbeiterinteressen.

 

Der auf dem zehnten Gewerkschaftskongress im Juli 1919 als neue Dachorganisation der freigewerkschaftlichen Berufs- und Industrieverbände gegründete Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) entwickelte Maßnahmen und Strategien gegen die Abwälzung von Konjunktur- und Krisenlasten auf die Arbeitnehmer. Die ab 1927 wieder zunehmende Arbeitslosigkeit, eine Auswirkung der umfangreichen Rationalisierungsbestrebungen in der Industrie und die Versuche der Unternehmer, den Achtstundentag auszuhöhlen, stießen auf scharfe Kritik der Gewerkschaften. 1927 protestierte der ADGB gegen das im Frühjahr verabschiedete Arbeitszeitnotgesetz, das den Unternehmern – wenn auch mit Einschränkungen – gestattete, den gesetzlich verankerten Achtstundentag zeitweilig außer Kraft zu setzen. Im gleichen Jahr unterbreiteten die Gewerkschaften ein Gesetz für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, das im Herbst im Reichstag angenommen wurde und die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung erstmals zentralen Institutionen übertrug.

 

Dem wachsenden Konzentrationsprozess in der Industrie und im Bankwesen versuchte der ADGB, mit einem Modell zur Demokratisierung der Wirtschaft zu begegnen. Die Auswirkungen der Krise sollten nach Vorstellungen des ADGB durch die Stabilisierung der Löhne, die Einhaltung der Versicherungsleistungen, die Senkung der Preise, die Verkürzung der Arbeitszeit, durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, durch Abbau der Reparationsleistungen und eine gerechtere Verteilung der Krisenlasten gemildert werden. Ein umfassendes Schulungssystem sollte die Funktionäre für die Durchsetzung dieser Forderungen befähigen.

Der ADGB baut

Die den Gewerkschaften in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zuwachsenden Aufgaben machten es erforderlich, die Ausbildung der Funktionäre zu verbessern. Neben bestehenden Einrichtungen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/M. und Tinz (Thüringen) entstanden Schulen der Verbände. Am 20. Mai 1927 beschloss der Bundesausschuss des ADGB, eine zentrale gewerkschaftliche Bildungseinrichtung für alle Verbände zu errichten, die dem ADGB-Dachverband angeschlossen sein sollten. Mit diesem Beschluss folgte er der in den Gewerkschaften erhobenen Forderung, die Bildungsarbeit zu vereinheitlichen und zielgerichteter auf die gesellschaftlichen Erfordernisse zu orientieren.

„Die Gewerkschaften haben schon viel gebaut, aber lange Zeit waren sie als Bauherren nicht sehr glücklich […]. Erst nach dem Kriege setzte ein Umschwung ein. Das neue Bürohaus an der Inselbrücke wurde von Max Taut gebaut, dem bald darauf auch das neue Haus der Buchdrucker übertragen wurde. Und als die Pläne für die erste Bundesschule akut wurden, um deren pädagogisch-technische Vorbereitung sich Otto Heßler verdient gemacht hat, erklärte der Bundesvorstand als sein Programm, dass der Bau ein Musterbeispiel moderner Baukultur werden müsse. Es sollte kein Schulhaus im traditionellen Sinne entstehen mit der erforderlichen Anzahl an Klassen, Seminaren, Wohnräumen usw. in einem Hause beliebiger Form, sondern es sollte das in jeder Hinsicht Vorbildliche geschaffen werden: der Typ der neuen Schule, einmal, um den Opfersinn der sich hier weiterbildenden Arbeiter die dankbare Gesinnung ihrer großen Organisation zu zeigen, zugleich aber auch, um ihnen, die doch alle aus engen ungenügenden häuslichen Verhältnissen, oft genug aus überfüllten und ungenügenden Wohnungen kommen, wenigstens für diese Wochen des Unterrichts die Ziele und Methoden moderner Wohnkultur in einer so reinen und zwingenden Form nahe zu bringen, faktisch erlebbar zu machen, dass sie von dem Beispiele für immer Nutzen und inneren Gewinn hätten. Ein Maximum von Lebensfreude, die Nähe elementarer Lebensreize sollte den Schülern hier vermittelt werden bei aller Schlichtheit und Knappheit des Bauens.“

(Adolf Behne, 1931)

Standort und Wettbewerb

Nach der Beschlussfassung am 20. Mai 1927 begann eine intensive Standorterkundung, um einen geeigneten Bauplatz in der Nähe Berlins zu finden, der die notwendigen infrastrukturellen und landschaftlichen Voraussetzungen für den Schulbau bieten konnte. Den Zuschlag erhielt am 1. Februar 1928 die Stadt Bernau, die über einen S-Bahn-Anschluss nach Berlin verfügte, ein landschaftlich reizvolles Gebiet im Stadtforst war, Strom, Gas und Wasser unentgeltlich zur Verfügung stellte und eine Straße auf Kosten der Stadt bis an die Baustelle heranführte. Parallel zur Standortwahl erarbeitete der Bundesvorstand des ADGB 1928 ein Wettbewerbsprogramm mit genauen Vorgaben für den Bau. Er war bemüht, vor allem dem „Neuen Bauen“ aufgeschlossene Architekten für eine Teilnahme am Wettbewerb zu gewinnen. Zur Beteiligung an dem engeren Wettbewerb aufgefordert wurden Max Berg, Alois Klement, Willy Ludewig, Erich Mendelsohn, Hannes Meyer und Max Taut. Am 5. März 1928 trafen sich die am Wettbewerb teilnehmenden Architekten Max Berg, Max Taut, Alois Klement und Hannes Meyer, um den künftigen Standort zu besichtigen.

 

Zum Abgabetermin, dem 4. April 1928, lagen dem Preisgericht, Dr. Martin Wagner, Prof. Dr. Heinrich Tessenow, Dr. Adolf Behne, Theodor Leipart, Vorsitzender des ADGB, Otto Heßler, Bildungssekretär des ADGB, die Entwürfe der Architekten vor.

 

Das Preisgericht entschied:

  1. Platz – Hannes Meyer: 62 Punkte
  2. Platz – Alois Klement: 34 Punkte
  3. Platz – Max Taut: 29 Punkte

Der Entwurf von Hannes Meyer und Hans Wittwer

„Es ist ungemein erfreulich, daß die formal zurückhaltendste Arbeit, die von Hannes Meyer, diesen starken Erfolg hatte, der nur dann verständlich wird, wenn man eine außergewöhnliche sachliche Überlegenheit dieses Entwurfs annimmt […] Er ist die vollkommenste räumliche Verwirklichung des Bauprogramms, das ja zunächst ein pädagogisches Programm ist.“

(Adolf Behne)

Bis zum offiziellen Baubeginn wurde der Entwurf noch überarbeitet. Veränderungen erfuhren u. a. die Verkehrsachse, die Treppenhäuser und der Glasgang. Über der Bibliothek und den Hörsälen im Sporthallengebäude wurden die ursprünglich geplanten Sheddächer durch Schmetterlingsdecken im Obergeschoss und Pultdächer im eingeschossigen Vorbau ersetzt. Die geplante vor dem Speisesaal umlaufende Veranda mit Sonnenliegenbestuhlung fiel weg. Die Lehrerhäuser wurden vom Zentralbau abgekoppelt, die zwischen den Wohnungen liegenden Terrassen als zusätzliche Wohnräume ausgebaut. Gleichzeitig arbeiteten die Werkstätten des Bauhauses an der Inneneinrichtung. Die Tischlerei entwarf Schreibtische für die Internatszimmer und Einbauschränke und Küchenmöbel für die Personalwohnungen, und die Weberei arbeitete an einem lichtreflektierenden und schallschluckenden Spannstoff für die Aula.

 

Die Grundsteinlegung

Die Grundsteinlegung für den Bau der Bundesschule wird am 29. Juli 1928, um 11 Uhr, mit einem Treffen auf dem Bernauer Marktplatz eingeleitet. Danach begeben sich die Veranstaltungsteilnehmer in einem Festzug zum Bauplatz in den Bernauer Stadtforst. Die Bevölkerung wird gebeten, ihre Häuser mit Flaggen-, Blumen- und Guirlandenschmuck zu versehen. Die „Verschönerungsdeputation“ der Stadt gab bekannt: „Geeignetes Material für Guirlanden wird vom 26. dieses Monats ab kostenlos in unserer Stadtgärtnerei zur Verfügung gestellt.“

 

Bereits im Mai 1928 begannen die Arbeiten an der Zufahrtsstraße an den Versorgungsleitungen. Die offizielle Baueingabe erfolgte am 13. August 1928. Am 22. August wurde mit dem Rohbau begonnen, der im Dezember 1928 weitgehend fertiggestellt war. Der Generalauftragnehmer für das Objekt war die Berliner Bauhütte. Die Bauleitung lag in den Händen von Hermann Bunzel, Student der Bauklasse, der schon mit dem Abschluss als Architekt an das Bauhaus gekommen war. Arieh Sharon war für den Bau der Lehrerhäuser verantwortlich und übernahm nach dem Weggang Hans Wittwers im April 1929 die Leitung des gesamten Berliner Baubüros von Hannes Meyer für die Fertigstellung der Bundesschule. Später bekannte Architekten wie Konrad Püschel und Eduard Ludwig absolvierten als Studenten des Bauhauses ihr Praktikum auf der Bernauer Baustelle. Der Bundesvorstand des ADGB wachte darüber, dass nur solche Firmen Aufträge für den Bau der Bundesschule erhielten, die Gewerkschafter in ihren Betrieben beschäftigten und die Tarifverträge einhielten. Das bedeutete, auch Bauverzögerungen zu akzeptieren, die durch Streiks entstanden, so z. B. im Sommer 1929, als die Bauklempner in den Ausstand traten.

Die Gebäude

Ortsbegehungen, Bedarfsanalysen und Sonnenwinkelberechnungen des Bauhauses gingen den Planungen für die Bundesschule des ADGB voraus. Aus ihren Analyseergebnissen folgerten Hannes Meyer und Hans Wittwer schließlich den auf allen Ebenen gestaffelten und in den Landschaftsraum eingepassten Aufbau der Schule und die Verbindung der unterschiedlichen Gebäudeteile miteinander. Basierend auf den pädagogischen Prinzipien des Schweizers Pestalozzi wurde die vorgegebene Einheit von 120 Bewohnern in „kleine Kreise“ aufgeteilt: Je zwei Kursteilnehmer in einem Zimmer, fünf Zimmer mit zehn Personen auf einem farblich markierten Korridor wohnten zusammen, aßen gemeinsam im Speisesaal an einem Zehnertisch, lernten gemeinsam und waren sportlich aktiv.

„der starre zwang der stadt hört auf, diese schule darf mit recht gelockert erscheinen. die kürzesten wege des zusammenkommens sind nicht durch verkürzte korridore zu schaffen, sondern durch die gelegenheit zum freundschaftlichen sichergehen, zur schöpferischen pause, diese gewerkschaftsschule darf weitspurig sein, damit eine aufbauende geselligkeit sich bildet. das resultat: nicht konzentrische häufung von baumassen, sondern exentrische lockerung der bauteile.“

(Hannes Meyer: „Erläuterungen zum Schulprojekt“)

„Ein langer Gang aus Glas und Eisen zieht sich vor den Gebäuden hin. Auch hier ist – wie in allen anderen Räumen – jede Verschraubung der Eisenträger, jede Lichtleitung, jede Schalttafel zu sehen und dem Zweck entsprechend angeordnet. Die Unterrichtsräume und die Aula sind Musterbeispiele für zweck- und materialgerechte Raumgestaltung. Jede Beleuchtungsphase, jeder Luftweg sind hier berechnet und berücksichtigt. Selbst die Deckenkonstruktion ist dem Tageslichteinfall angepasst und bildet mit der Beleuchtungsanlage eine genau durchdachte Einheit. Um die Gebäude herum ein großes Freigelände, dessen ursprünglicher Charakter, eine weite Lichtung in dürrem märkischem Kiefernwalde nicht verändert worden ist. Ein kleiner See, dicht bei den Gebäuden, ist zum Bade- und Schwimmbassin umgebaut worden.“

(aus: Aufwärts, Berlin 1930)

Richtfest und Einweihung

Die Einweihung wurde, wie schon die Grundsteinlegung, in großem Stil gefeiert. Mit Festreden in der Aula und einer Führung des Architekten Hannes Meyer samt glühender Ansprache in der Sporthalle der Bundesschule wurden die schaulustigen Besucher mit dem modernen Bauwerk vertraut gemacht. In der Presse spiegelte sich das Ereignis so wider:

„Nahe dem unweit von Berlin gelegenen Städtchen Bernau, mitten in typischer Marklandschaft, steht die neue Bundesschule, ein Wahrzeichen gewerkschaftlicher Kraft und gewerkschaftlichen Wollens; ein Bau ganz eigener Art. Schon wer das Äußere der Schule gesehen hat, wird den gewonnenen Eindruck nie wieder verlieren. ‚Eine Bildungsfabrik‘ sagen einige; andere sind glattweg gefangen.“

(aus: Graphische Presse, 23. Mai 1930)

 

„DER BAU UND SEIN ZWECK

Die Feier in der Aula, deren gesamte Ausstattung und Einrichtung die ARBEITERBANK gestiftet hat, war beendet. Musik hatte die Ansprachen eingeleitet, Musik schloß den einfachen, würdigen Festakt. Die Teilnehmer begaben sich zum anderen Ende des weiten Bauwerks, um sich im Turnsaal um HANNES MEYER zu sammeln, der in diesem Raum die Führung durch den Bau mit einer kurzen Rede einleitete. Er sprach über das Ziel des Baumeisters, dem lebendigen schulischen Wesen, das in der weiten Lichtung zwischen Wäldern von märkischen Föhren zum Leben erstehen sollte, die räumliche Stätte zu geben, welche der Entfaltung dieses Lebens im ganzen wie dem reibungslosen Ablauf jedes Lebensvorgangs dieses Schulwesens die günstigsten Bedingungen bietet.“

(aus: Gewerkschaftszeitung, 10. Mai 1930)